Joy: Mit Mopp zu Millionen
Achtung: Dieser Artikel enthält Spoiler. Jede Menge. Und sagt nachher nicht, wir hätten nix gesagt!
„Wenn du geboren wirst, träumst du davon, wie dein Leben einmal sein wird.“
So hatte sich die junge alleinerziehende Mutter Joy (Jennifer Lawrence) ihre Zukunft gewiss nicht ausgemalt. Obwohl Jahrgangsbeste mit einer Zusage für eine Bostoner Eliteuni in der Tasche, bleibt sie bei ihren Eltern in Long Beach, um ihnen bei ihrer Scheidung zur Seite zu stehen. Die Hochzeit (und die baldige Scheidung) mit einem erfolglosen venezolanischen Sänger, zwei Kinder und ein Job bei einer Fluggesellschaft folgen. Familienprobleme werden auf ihr abgewälzt. Doch eines Tages reicht es der vom Schicksal geprägten Protagonistin. Sie verwirklicht ihre Idee eines sich selbstauswringenden Wischmopps und lässt den ersten Prototypen bauen. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten bei der Finanzierung, der Patentanmeldung und dem Verkauf, gelingt es Joy schließlich mehrere hunderttausend Exemplare über einen Verkaufsfernsehender in die amerikanischen Haushalte zu bringen. Doch weitere Rückschläge verhindern ihren Erfolg, sodass sie schließlich als Opfer von Betrug und Korruption vor einem Schuldenberg steht und gezwungen ist, Privatinsolvenz anzumelden. Doch das Blatt wendet sich letztendlich doch noch zum Guten, als Joy die kriminellen Machenschaften aufdeckt und sich das zurückholt, was ihr zusteht.
„Die Welt schenkt dir nichts.“
David O’Russel setzt mit Jennifer Lawrence, Robert de Niro und Bradley Cooper auf ein altbewährtes Team, das uns schon zum Teil aus American Hustle (2013) und vor allem aus Silver Linings (2012) bekannt ist.
Die 25-jährige Jennifer Lawrence spielt in O’Russels neuen Streifen als alleinerziehende Mutter und Geschätsfrau ihre eindeutig erwachsenste Rolle. Sie transportiert den Wagemut und die Entschlossenheit einer Katniss Everdeen (Tribute von Panem) sowie die Schlagfertigkeit und den Willen zur Abkehr von vorgeformten Rollenklischees einer für verrückt erklärten Tiffany (Silver Linings). Die Schauspielerin kombiniert ihre dem Zuschauer bereits bekannten Rollen, zeigt dabei zugleich aber auch eine ganz neue Seite von sich. Sie ist nicht mehr das wenn auch vor Kampfgeist strotzende Mädchen, sondern verkörpert eine – möglicherweise durch äußere Umstände erzwungen – erwachsene Frau, die der emanzipierten Geschäftsfrau Joy Mangano gerecht wird. Und dabei sehnt sie sich so sehr ihr kindliches Ich voller Erfindergeist zurück. „Ich brauche keinen Prinzen, ich brauche später nur ein Haus, in dem ich Dinge erfinde, die ich dann an Leute verkaufe.“, sagt die etwa zehnjährige Joy, als sie sich mit ihrem aus Papier gebastelten Spielzeug ihre Zukunft ausmalt. „Ich brauche eine Macht.“, sagt Joy und schwenkt dabei einen Freiheit symbolisierenden Papiervogel durch die Luft. Die Umrisse des unschuldig weißen Papierschnitts verwandeln sich in die dunkle Schattenfigur der gealterten Protagonistin. Ihre zuvor ersehnte Freiheit, all das machen zu können, wonach ihr der Sinn steht, sich mit ihren Erfindungen zu verwirklichen, liegt nun in den Ketten der schwierigen Familienverhältnisse, die sie dazu zwingen, einem Job nachzugehen, den sie nicht mag, und sich mit Menschen zu umgeben, die ihr jeden möglichen Freiraum rauben. 17 Jahre lang befand sie sich wie die Zikade im Buch ihrer Tochter in einer Art Erdloch und begrub damit auch ihre Träume und Wünsche. Als Joy nun nach dieser langen Zeit aus dem Winterschlaf erwacht, schlägt sie in der harten Realität auf: „Die Welt schenkt dir nichts. Sie gibt dir keine Möglichkeiten, sondern verbaut dir alle.“, ist Joys Erkenntnis aus ihrem Scheitern, welche ganz und gar mit dem traumtänzerischen Optimismus ihrer Großmutter bricht.
Glück und Cleverness führen zum Erfolg
Sie muss sich durchsetzen. Nicht nur in der harten von Männern geprägten Geschäftswelt, sondern auch gegen ihre Familie, die nicht an sie glaubt und ihr das auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf mal mehr, mal weniger verletzende Art und Weise verdeutlicht. Ist es nun aus mangelndem Vertrauen in ihre Fähigkeiten oder Eifersucht auf das, was sie letztendlich doch bewerkstelligt. Sie kann es keinem Recht machen und bleibt in den Augen ihrer Familie die kleine Joy, die sich dann aber doch bitte frei nach dem Aschenputtelprinzip um alles zu kümmern hat. Doch die Protagonistin geht ihren Weg, setzt dabei alles aufs Spiel und steht wieder auf, selbst wenn die Situation ausweglos erscheint. Auch wenn ihr nichts geschenkt wird, wie sie richtig feststellt, ist es eine Mischung aus Glück – passend zu ihrem Namen – und Cleverness, die sie schließlich zum Erfolg führt. Sie ist oftmals zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort und ihr gelingt es durch Hartnäckigkeit, ihre Ziele und Forderungen durchzusetzen.
Irgendjemand muss den Laden schmeißen
David O’Russel präsentiert eine für seine zumindest jüngsten Werke typische Rollenkonstellation. Es gibt da immer irgendwo einen offensichtlich Durchgeknallten, in diesem Fall die Mutter, um den sich die anderen Figuren mit ihren Problempäckchen, die sich dem Zuschauer im Verlaufe des Films langsam offenbaren, wie hungrige Hyänen scharen. Durch verdrängte Gefühle und das Zusammengepferchtsein auf engsten Raum sind laute Gefühlsausbrüche, von denen auch das Mobiliar nicht verschont bleibt, vorprogrammiert. Ein Rezept, das sich bisher immer bewährt hat. In Silver Linings zerstört Pat (Bradley Cooper) mit einem Buch aufgebracht ein Fenster im Haus seiner Eltern, in American Hustle geht mindestens eine Mikrowelle zu Bruch, in Joy ist es das Zerbrechen des Porzellans von Joys Mutter. Auch wenn Joy mit den Teilen und Plänen ihres eigens entworfenen Wischmopp um sich wirft, scheint sie noch die „normalste“ oder sagen wir lieber rational denkendste unter den Figuren zu sein. Der „Ruhepol“ wie sie die anderen Figuren nennen. Möglicherweise auch aus der Not heraus. Irgendeiner muss ja den Laden schmeißen, der sich ihre Familie nennt. Jeder findet einen Platz in ihrem Haus, das schon bald von lauter mit sich selbst beschäftigten Erwachsenen aus einer vollkommenen Selbstverständlichkeit heraus in Anspruch genommen wird. In einer männerfreien Zone, ihrem Zimmer, zieht sich Joys Mutter zurück in die Traumwelt ihrer Lieblings-Soap-Opera und scheint seit der Trennung von ihrem Mann nur noch vor dem Fernseher zu sitzen. Joys Ex-Mann bewohnt den Keller, dessen Zentrum ein Mikrofonständer bildet, Monument seines gescheiterten Traums als Musiker. Schließlich setzt die aktuelle Freundin von Joys exzentrischem Vater diesen auf ihrer Fußmatte ab. Beide Ex-Ehemänner versuchen sich nun, so gut es geht im Kellerraum aus dem Wege zu gehen. Die einzigen, die nicht der Gruppe aus gestrandeten gescheiterten Normaden angehören, sind Joys zwei Kinder und ihre Großmutter, die teilweise als Erzählerin des von Tatsachen sehr gelösten Biopics fungiert.
Mit Mopp zu Millionen
Der Regisseur greift dabei zumindest zu Beginn des Filmes ganz tief in die Stilmittelkiste und präsentiert dem Zuschauer ein Sammelsurium an verschiedensten Darstellungsformen, die sich dennoch in das Gesamtwerk einfügen. Traumähnliche Vogelperspektiven, Handkameraaufnahmen, metadiegetische Sequenzen und wechselnde Erzählstimmen fragmentieren die filmische Homogenität. Noch wirkt es nicht gekünstelt, selbst wenn Seifenoper und Diegese miteinander verschmelzen, ist aber hart an der Grenze zu „ich verarbeite alles, was ich filmisch schon immer einmal ausprobieren wollte in den ersten 20 Minuten meines neuen Werks“. Auch die Symbolkraft der Bilder und Requisiten steht auf einer schmalen Kannte zwischen geschickt platziert und zu überdeutlich. Ja, der Zuschauer hat es verstanden! So zieht sich die schwarz-weiß Metaphorik durch den ganzen Film. Nicht nur die Requisiten wie das Papierspielzeug und das Bühnenbild (man achte vor allem auf die Verkaufskulissen von QVC, dem Fernsehsender) passen sich diesem Farbkonzept an, auch das Kostüm der Protagonistin wechselt auffällig je nach Lebenssituation. Mal schwarz, mal weiß, mal schwarz-weiß. Auch dass am Ende des Filmes Schnee auf die dunkel gekleidete Hauptfigur niederfällt, wie es auch auf dem Kinoplakat zu sehen ist, ist kein Zufall. Am Schluss steht die Verwirklichung des amerikanischen Traums. Mit einem Mopp zu Millionen. Das Haus aus Papier ist nun nicht mehr Platzhalter eines unerfüllten Wunsches, sondern Wahrheit.
Doch eher gewöhnlich
Insgesamt lässt sich sagen: O’Russel setzt auf Altbewährtes – Schauspieler, Figurenkonstellationen, Verlauf der Handlung bilden somit ein solides Grundgerüst, das bei dein Zuschauern in der Vergangenheit bereits gut angekommen ist. Dem Film für sich allein betrachtet schadet dieses bereits erprobte Kostüm nicht, für O’Russel-Kenner macht es die Handlung jedoch vorhersehbar und hält kaum Überraschungen offen. Wer zu der Sorte Kinogängern gehört, die bereits vorher wissen wollen, für was sie ihr Geld auf den Tisch legen, sicherlich ein befriedigendes Erlebnis. Man bekommt das, was man erwartet. Nicht mehr, nicht weniger. Der Untertitel „Alles, außer gewöhnlich“ trifft auf den Film an sich nämlich nicht zu. Für alle anderen Kinobesucher wird der Film sicherlich keine Enttäuschung sein, aber es auch nicht auf die Liste der Lieblingswerke schaffen.
Was die Leute sagenJanin-Rating (zählt natürlich doppelt) IMDB.com Rotten Tomatoes Metacritic |
Gesamtnote
6,68 |
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