Die romantische Entdeckung der Unendlichkeit
„Es ist die Liebe, die die Welt in ihrem Innersten zusammenhält.“ Das hat schon Doktor Faust festgestellt. Wie die berühmte Figur aus Goethes Drama macht sich auch Stephen Hawking in dem Biopic Die Entdeckung der Unendlichkeit auf die Suche nach der Weltformel – die eine alles entschlüsselnde Gleichung.
Der hochintelligente Stephen studiert an der Universität Cambridge, wo er auch eines Abends auf einer Party die Literaturstudentin Jane kennenlernt. Beide verlieben sich ineinander, doch das Glück ist nur von kurzer Dauer. Nachdem der junge Wissenschaftler plötzlich im Hof des Universitätsgebäudes zusammenbricht, wird dem 21-jährigen Stephen wird die Motoneuron-Krankheit diagnostiziert, die ihm die völlige Kontrolle über seine Muskelbewegungen nimmt. Nach Einschätzung der Ärzte hat er nur noch zwei Jahre zu leben. Trotz dieser Diagnose steht ihm Jane zur Seite. Beide heiraten und bekommen drei Kinder. Stephen arbeitet als Astrophysiker weiter an der Erforschung schwarzer Löcher und begeistert mit seinen bahnbrechenden Theorien die Welt der Wissenschaft.
Ein ungleiches Paar
Im Zentrum der Geschichte stehen jedoch nicht Stephen Hawkings wissenschaftliche Leistungen, sondern die Liebesgeschichte zwischen ihm und seiner ersten Frau Jane. Der Film zeichnet in diesem Rahmen das Porträt einer Ehe, die den beschwerlichen Umständen der lebensbedrohlichen Krankheit zumindest für eine gewisse Zeit standhält. Dabei sind die physikalischen Fakten von Stephens Arbeit so portioniert und aufbereitet in die Erzählung eingebunden, dass der Durchschnittszuschauer der Handlung problemlos folgen kann. Es ist eine „Physik der Liebe“(wie es in einer Szene zu Beginn des Filmes heißt), die dem Rezipienten kineastisch nahegebracht wird. Die Geschichte basiert dabei auf dem Werk Die Liebe hat elf Dimensionen: Mein Leben mit Stephen Hawking von der wahren Jane selbst. Sie und Stephen verhalten sich dabei wie zwei Elektronen, die sich jeder physikalischen Regel widersetzten und sich auf wundersame Weise gegenseitig anziehen. Unterschiedlicher könnten beide nicht sein: Er Naturwissenschaftler und überzeugter Atheist, sie eine gläubige, romantisch veranlagte Literaturwissenschaftlerin, die sich in die goldenen Zwanziger zurückwünscht und sich mit der Kunst Turners und Blakes auseinandersetzt. Was beide vereint, ist der Wunsch nach einer „Zeitreise“ ins literarische Mittelalter auf der einen Seite, zum Beginn des Universums auf der anderen Seite.
Ein Wettlauf gegen die Zeit
Mit dem Bekanntwerden Stephens Krankheit wird die Zeit zu einem Leitmotiv des Films. Hawking möchte die zwei Jahre, die ihm nach Meinung der Ärzte noch bleiben, nutzen, um seine Forschung fortzuführen und der Welt in diesem Sinne zu dienen. Er arbeitet gegen die ablaufende Zeit, die zugleich zum Thema seiner Dissertation wird. In seinem später veröffentlichen Werk Eine kurze Geschichte der Zeit bereitet er seine gewonnenen Erkenntnisse über die Untersuchung des Urknalls und die Eigenschaften von schwarzen Löchern populärwissenschaftlich auf und macht sie somit einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Das Leben, so endlich es auch ist, scheint gerade im Fall des kranken Stephen Hawkings ein Quantum unendlich zu sein. Die Lebenserwartung von zwei Jahren hat bereits die Fünfzigjahresmarke überschritten und Hawking wirkt heute immer noch in der Forschung als Kosmologe.
Auch eine immer wiederkehrende Kreissymbolik zieht sich als Leitmotiv durch den Film. Der Kreis als unendliche Linie ist eine Metapher für die Unendlichkeit, ohne Anfang, ohne Ende – wie das Weltall selbst – wie es Hawking am Ende des Films feststellen wird. Das schwarze Loch als Kreis taucht auf der Tafel des Mathematikers Penrose ebenso auf wie in Hawkings Kaffee oder in der Form des Universitätstreppenhauses.
Hauptdarsteller mit Oscar-Ambitionen
Im Film verausgabt sich Jane an der Seite ihres kranken Mannes bis zur Erschöpfung in ihrer Rolle als Pflegerin, Ehefrau und Mutter, sodass die Ehe der beiden trotz aller Bemühungen letztendlich scheitert. Hervorzuheben ist dabei die schauspielerische Leistung von Felicity Jones (bekannt aus Filmen wie Like Crazy, ein übrigens hervorragendes Werk von Drake Doremus), die eine überzeugende Darstellung einer selbstbewussten und treuen Ehefrau über eine Zeitspanne von 25 Jahren souverän abliefert. Jones schafft es, die verschiedenen Facetten der unter Stephens Krankheit leidenden Jane zu verkörpern. Und auch Eddie Redmayne (bekannt aus Les Misérables) in der Rolle Stephen Hawkings ist nicht zu verachten. Am Ende des Filmes nicht mehr fähig zu sprechen, genügt die kleinste Mimik auf dem Gesicht des Schauspielers, um das ganze Spektrum der Gefühle seiner Rolle auszudrücken und dem Sprachcomputer, mit dem er sich verständigt, Leben einzuhauchen. Ein definitiv heißer Anwärter auf eine Oscarnominierung – auch aus dem Grund, weil die Jury der Darstellung dramatischer Schicksale, die noch dazu auf einer wahren Begebenheit beruhen, ihrem Schema der letzten Jahre getreu eine goldene Trophäe verleihen muss.
Gestalterischer Durchschnitt
Gestalterisch ist der Film dagegen kein außergewöhnliches Meisterwerk. Die Aufnahmen sind in einem Sepiaton gehalten und zeitweise mit Handkameraaufnahmen gespickt, um das Verstreichen der Zeit und den Aspekt der Authentizität einer Erzählung nach einer wahren Begebenheit zu untermalen. Die warme Farbgestaltung und die Kamerakranaufnahmen entsprechen den typischen Merkmalen eines romantischen Films und sind ganz nett, aber nichts Besonderes. Nichts, was man nicht schon gesehen hätte. In diesem Zusammenhang erinnern auch die Aufbereitung der Story und die Aufnahmen des Sternenhimmels an den Film A Beautiful Mind, der sich mit dem Schicksal des an Schizophrenie erkrankten Mathematikers John Nash auseinandersetzt.
Zwei weitere Schwachpunkte des Films sind die für meinen Geschmack zu überzogene Stereotypisierung von Naturwissenschaftlern, die auch in diesem Film jedem Klischee entsprechen, und das zu rasche Erzähltempo zu Beginn der Geschichte. Jane und Stephen scheinen sich kaum zu kennen, als Jane beschließt, ihn trotz oder gerade weil seiner Krankheit zu heiraten – ganz den Idealen der Romantik einer bedingungslosen Liebe entsprechend. Das ist dann doch – gerade aufgrund der Bezeichnung „Auf einer wahren Begebenheit“ – ein bisschen zu kitschig.
Hawking wird die Antwort auf die Weltformel nicht finden. Vielleicht ist es die alles erklärende Liebe, die die Lösung bietet und die im Moment als Deus ex machina – wie damals schon in Faust – durch zahlreiche Filme unserer Zeit geistert. Werfen wir nur einen kleinen Seitenblick zu den Filmemacherkollegen, schon werden wir bei den Nolanbrothers und ihrem neuesten Opus magnum fündig: unerklärliche Phänomene + Weltall + Raum + Zeit + schwarzes Loch = Liebe. Dies scheint zumindest die kineastische Lösung der Weltgleichung zu sein.
Wer sich nun also überlegt, ins Kino zu gehen, um sich das Ganze einmal anzuschauen, sollte sich auf ein berührendes Liebesdrama einstellen und eventuell Taschentücher bereithalten.
Meine Wertung: 8 und nicht nur, weil diese in liegender Form Unendlichkeit symbolisiert.
Was die Leute sagenJanin-Rating (zählt natürlich doppelt) IMDB.com Rotten Tomatoes Metacritic |
Gesamtnote
7,81 |
Janin und Frau Hawking einen Gefallen tun und jetzt einkaufen
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