Die Lügen der Sieger: Kino, das man sich sparen kann
Der deutsche Regisseur Christoph Hochhäusler beschert einem mit seinem neuen Film Die Lügen der Sieger ein leider enttäuschendes Kinoerlebnis in fast jeder Hinsicht. Hier erfahrt ihr, warum viele Kinozuschauer lieber aufgestanden und gegangen oder für ein paar Minuten auf der Toilette verschwunden sind, als seinen Film zu sehen.
Doch worum geht es eigentlich?
Der Journalist Fabian Groys (Florian David Fitz) arbeitet bei der Zeitung Die Woche in Berlin. Er schreibt gerade an einem Bericht über den Umgang der deutschen Bundeswehr mit Kriegsrückkehrern, als die Volontärin Nadja (Lilith Stangenberg) ausgehend von einem Bericht über einen Selbstmord auf interessante Informationen stößt, die beide zur Aufdeckung eines Giftmüllskandals führen. Auf den ersten Blick scheinen die zwei Geschichten, an denen die Journalisten arbeiten, unabhängig voneinander zu existieren, im Verlaufe ihrer investigativen Recherchen wird jedoch deutlich, dass immer mehr verbindende Elemente zwischen den zwei Stories bestehen und alles in einem gemeinsamen Ende mündet. Die Chemieindustrie zeigt sich natürlich nicht gerade begeistert von der Preisgabe dieser sie schädigenden Informationen und schon bald werden den Journalisten falsche Hinweise zugespielt und sie erhalten anonyme Drohungen.
Der Stoff klingt zunächst erst einmal spannend und trifft sicherlich mit dem Thema von Überwachung, Korruption und Medienkontrolle den Zeitgeist – leider kann die Umsetzung nicht mithalten und scheitert kläglich auf fast jeder Ebene.
Überall verschenktes Potenzial
Ich finde, man sollte jedem Film allgemein eine Chance geben, Wunder geschehen immer wieder und selbst wenn der Anfang es nicht schafft, einen zu packen, vielleicht gelingt dies ja dem Mittelteil oder dem Schluss. Das ist auch der Grund, warum ich den Kinosaal bis zum Schluss nicht verlassen habe – sieht man mal von einer etwas ausgedehnten Toilettenpause ab (okay, und ich muss auch zugeben, ich habe das Ende nicht mitbekommen, weil ich vorher – kein Scherz – eingeschlafen bin und das ist mir im Kino wirklich noch nie passiert). Doch auf diesen alles zum Besseren wendenden Moment wartet man vergeblich bei Die Lügen der Sieger. Vielmehr arbeitet der Film immer wieder auf Tiefpunkte hin. Einer davon ist definitiv eine Szene, in der die Protagonistin zu tief ins Glas schaut. Ein exzellentes Beispiel dafür, wie man Trunkenheit auf unüberzeugenste Art und Weise darstellen kann.
Ich glaube generell eigentlich nicht, dass die Schauspieler untalentiert sind. Florian David Fitz spielt sonst in gut besuchten Kinofilmen und auch wenn diese auch oft nicht meinem Geschmack entsprechen, gibt es eine Menge Zuschauer, die auf das schweighöfersche Rehaugenspiel des 40-Jährigen stehen, was auch vollkommen in Ordnung ist, denn ein schlechter Schauspieler ist er nicht. Und ich bin auch davon überzeugt, dass seine monoton dahinsprechende Kollegin auch mehr drauf hat, als sie eigentlich zeigt. Dies wird sogar einmal in dem Film deutlich, als sie in einer Redaktionssitzung aus ihrer Schlaftablettenhaltung herausbricht. Möglicherweise – und wir wollen es alle hoffen – ist da noch unausgeschöpfte Luft nach oben.
Baustellen und Franzosen
Die vom Stil her Tatort-ähnlichen Bilder und die damit verknüpfte Handlung werfen manchmal Fragen auf. Völlig deplatziert wirkt beispielsweise eine Aneinanderreihung von Aufnahmen, die unter anderem die „schönsten“ Baustellen Berlins zeigen. Auch das Auftauchen französischer Untergrund-Glücksspieler hat anscheinend nur einen Zweck: Filmförderung aus dem Nachbarland beziehungsweise aus partnerschaftlichen Kooperationen (Arte) abgreifen. Oder mir ist der Grund für diesen plötzlich untertitelten Sprachwechsel aufgrund meiner stetig sinkenden Aufmerksamkeitsspanne verwehrt geblieben. Auch diese Möglichkeit möchte ich nicht ausschließen und es tut mir leid, falls ich dem Film an dieser Stelle Unrecht tue und er durch die frankophonen Elemente eine mir nicht ersichtliche Tiefgründigkeit erzeugen wollte (wobei man sagen muss, dass sich Florian David Fitz‘ französische Aussprache wirklich hören lassen kann, Respekt).
Pardon, so nicht
Die zäh vor sich hinfließende Handlung wird durch mal mehr, selten weniger zusammenhangslose Mikro-Ereignisse angereichert, alles untermalt von einer nervtötenden Hintergrundmusik. Die platten Dialoge tragen in diesem Zusammenhang ebenfalls zur eher mäßigen Gesamtkomposition bei.
Aber Gott sei Dank bilden Kameramann und Cutter das Action erzeugende Dreamteam.
Gut, es ist verständlich und jeder kennt diese Situation, wenn man sich etwas Neues kauft, möchte man es auch gerne ausprobieren und es in jeglicher möglicher Hinsicht testen – jede Funktion, mehrmals und am besten alles auf einmal. Das neue Spielzeug des Kameramanns nennt sich in diesem Fall unverkennbar Dolly. Hin und her, her und hin, zweimal ganz ums Auto herum, zur einen Wand und upps, da ist dann nur noch Wand, und wieder zurück. Da fand jemand The Newsroom ziemlich cool (nur nebenbei bemerkt: The Newsroom cool zu finden ist vollkommen legitim, denn die machen es auch richtig). Der Zuschauer fühlt sich jedenfalls die ganze Zeit so, als würde er auf Raabs fahrender Couch sitzen und dabei verzweifelt nach der Handbremse suchen, um sich endlich mal auf etwas fokussieren zu können. Auf diese Weise lässt der Film die Möglichkeit gar nicht zu, eine tiefgründige Bildebene aufzuspüren oder liegt der tiefere Sinn etwa in dem übertrieben eingesetzten Lense Flare, der jedes zweite Bild mit blauen Linien durchzieht? Was will uns das sagen?
Wohlwollend könnte man interpretieren, dass uns da jemand die Anwesenheit der Kamera ständig ins Bewusstsein rufen möchte JA DA IST EINE LINSE, DIE DAS GESCHEHEN FÜR DICH EINFÄNGT, LIEBER ZUSCHAUER – Stichwort: Überwachungsgesellschaft. Ich meine immerhin geht es in dem Film ja auch explizit um Medien, deren Macht und gezwungene (auch ökonomisch motivierte) Unterwürfigkeit. Aber egal wie man das Blatt auch dreht und wendet und welche metaphorische Bedeutung man den Lichtreflektionen auch zuordnen mag, sie fügen sich in keinster Weise in den Stil des Filmes ein, sondern stören das Bild, sodass man sich eigentlich die ganze Zeit nur fragt: was ist da kaputt? Übermäßig unangebrachter Lense Flare, dieser Fehler wurde schon gemacht, warum muss man ihn dann wiederholen? Selbst J.J. Abrams (Star Trek Into Darkness) hat sich im Nachhinein für seine zahlreichen Lense Flares entschuldigt – und dessen Film spielte immerhin im Weltraum.
Aber dann ist da ja noch der Schnitt, wenn wir schon vom Dreamteam Cutter-Kameramann sprechen, der anscheinend krampfhaft versucht, einen von den unangebrachten Lichtreflexionen oder den dürftigen Dialogen abzulenken (von zahlreichen Anschlussfehlern ganz zu schweigen). Aber es klappt nicht, wenn man im Schnittraum entscheidet, inhaltliche und technische Schwachstellen durch Hektik wieder auszubügeln – netter Ablenkungsversuch, aber es funktioniert nicht. Und nein, man muss auch nicht bei jedem Räuspern einer Figur im Schuss-Gegenschuss-Verfahren einen Schnitt setzen. So viel eigenständiges Denkvermögen kann man dem Zuschauer auch heutzutage noch zutrauen, er versteht schon, woher das leise Hüsteln kommt, auch wenn eine sich artikulierende Figur des Zweiergesprächs mal nicht im Bild ist. Weniger ist da manchmal mehr.
Die gute Nachricht: Man kann Geld sparen
Insgesamt kann ich nur sagen: Leute, spart euch das Geld fürs Kino. Das ist es leider einfach nicht wert.
Was die Leute sagenJanin-Rating (zählt natürlich doppelt) IMDB.com Rotten Tomatoes Metacritic |
vorl. Gesamtnote
2,00 |
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