A Most Violent Year: Alles, außer Gewalt!
A most violent Year von J. C. Chandor findet sich auf jeder zweiten Toplist der Filme, die 2015 bei den Oscars übersehen wurden. Nicht eine einzige Nominierung konnte das Drama erringen – und das obwohl Jessica Chastain für ihre Rolle als Frau des Protagonisten Abel (Oscar Isaac), einem aufstrebenden Heizöl-Unternehmer mit Mafia-Verstrickungen, durchaus gute Kritiken, eine Golden Globe-Nominierung als beste Nebendarstellerin sowie einige andere Auszeichnungen einheimsen durfte. Dennoch kann man kaum von einer unfairen Behandlung sprechen. Denn obwohl A most violent Year durchaus seine Stärken hat, kann er nicht voll überzeugen.
Reale historische Kulisse
Der Film spielt im New York der beginnenden 80er Jahre, einer Zeit, in der die Kriminalität die Millionenstadt zu überrollen scheint. „There were more murders and rapes in this city last year than there’ve ever been, so if you’ve come to tell me that we’ve got an urgent security issue here – trust me, I’m aware“, so bringt es Staatsanwalt Lawrence (David Oyelowo) auf den Punkt. Er ist damit beauftragt, das Versorgungswesen in New Jersey aufzuräumen und hat sich die Firma des Protagonisten Abel ausgesucht um ein Exempel zu statuieren. Der wiederum bemüht sich nach Kräften, das vom Schwiegervater geerbte Heizöl-Unternehmen in die Legalität zu überführen und gleichzeitig zu expandieren.
Dabei setzt er alles auf eine Karte: Ein strategisch wichtiges Gelände fehlt ihm noch als Baustein auf seinem Weg zu einem Imperium, doch um es zu bekommen, lässt er sich auf einen gefährlichen Deal ein: Mit seinen gesamten Ersparnissen sichert er sich das Vorkaufsrecht, den vollen Kaufpreis muss er innerhalb von 30 Tagen erbringen. Ein waghalsiger Plan, wenn man bedenkt, dass schon im bestehenden Unternehmen längst nicht alles rund läuft. Denn neben den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft werden quasi täglich Tanklaster von Abels Firma überfallen und seine Fahrer dabei brutal zusammengeschlagen. Doch Abel weigert sich standhaft, seine Leute mit Waffen auszurüsten, aus Sorge, die Situation könne damit vollends aus dem Ruder laufen.
Kein klassisches Gangsterkino
Klingt alles ein bisschen verworren und kompliziert? Ist es auch. Auch wenn der Plot eigentlich überschaubar ist, richtet sich A most violent Year nicht gerade an Freunde von Simpelkino. Wer ein klassisches Mafiastück mit viel Geballer und scherenschnittartigen Schwarz-Weiß-Zeichnungen erwartet, wird enttäuscht. Abel ist nicht der patriarchalische Don, der seine schützende Hand über die eigene Familie (und damit ist sowohl die offizielle als auch die inoffizielle gemeint) hält und dabei auch vor Gewaltanwendung nicht zurückschreckt. Eher ist das Gegenteil der Fall: Ganz wie sein biblisches Vorbild versucht er, sich an die Spielregeln zu halten und ist dennoch erfolgreich – was Neider auf den Plan ruft. Seine Gegenspieler, der Staatswanwalt, ist sich dessen bewusst, entscheidet sich als Karrierist allerdings dennoch für eine Anklage und lässt Abels Haus – ob absichtlich oder nicht – just in dem Moment durchsuchen, in dem der Geburtstag einer Tochter gefeiert wird. Die klassischen Positionen des Gangsterfilms verkehren sich hier zumindest ein Stück weit.
Alles läuft dabei allerdings sehr gesittet und in einem Wort langsam ab. Bei einer Laufzeit von knapp über zwei Stunden stellt dieses ruhige Erzähltempo eine echte Herausforderung an die Zuschauer dar. Obwohl der Film durchaus mit spannenden Momenten aufwarten kann, entscheidet sich J. C. Chandor für eine große Detailfülle, in der nicht alle Szenen die Story notwendigerweise vorantreiben. Nicht zuletzt schüren Trailer und Titel eine falsche Erwartung an den Film, der eben nicht eine Wiederauflage von Filmen à la Coppola darstellt, sondern bewusst mit den Genre-Regeln bricht. Und auch wenn spätestens seit The Sopranos New Jersey im Kopf des Zuschauers untrennbar mit der Mafia verbunden wird, ist Abel eigentlich weniger Mafioso als Kapitalist.
Und die Moral von der Geschicht‘ wissen wir nicht
So gesehen befindet sich der Film thematisch näher an Margin Call, Chandors Debüt aus 2011, ein minutiöses Porträt des Crashs einer fiktiven, an die Lehman Brothers angelehnten Bank. Doch während Margin Call schon allein über die Thematik Aktualität erhielt, erschließt sich die Daseinsberechtigung von A most violent Year nicht unmittelbar. Ist es eine Geschichte über das Durchhalten, eine über das Scheitern und des Akzeptierens der Realität, ist es Kapitalismus-Kritik oder Kapitalismus-Verherrlichung? Es ist angenehm, dass der Film dem Zuschauer keine Antworten auf dem Silbertablett präsentiert – aber so fehlen leider auch die Reibungspunkte, anhand derer sich eine eigene Position erst herausbilden kann.
Filmisch und schauspielerisch ist der Film allerdings dennoch überzeugend und insbesondere das Lob für Jessica Chastain, deren Charakter Anna sich nicht mit der zweiten Reihe hinter ihrem Mann begnügen möchte, ist gerechtfertigt. Sieht man von dem langsamen Erzähltempo ab, kann man dem Film darüber hinaus auch seine Unaufgeregtheit, die so sehr mit modernen Hollywood-Erzählungen bricht, zugutehalten. Wer allerdings mit dem Gefühl der Zufriedenheit aus dem Kino gehen möchte, gerade etwas mit klarer Aussage gesehen zu haben, sollte sich A most violent Year allerdings eher sparen.
Was die Leute sagenJonas-Rating (zählt natürlich doppelt) IMDB.com Rotten Tomatoes Metacritic |
Gesamtnote
7,29 |
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