The Voices – Marjane Satrapi schlägt neue (A-) Töne an
Marjane Satrapi: Was bisher geschah
Berühmt geworden durch dem autobiografischen Animationsfilms Persepolis (2007), gilt Satrapi als feinfühlige (Kunst-) Filmemacherin, die vor allem politisch brisante Themen im Repertoire führt, dabei immer einen sehr persönlichen Zugang wählend. Das auf Satrapis gleichnamigen Graphic Novel entstandene Filmdebüt schmückt sich mit dem Großen Preis der Jury in Cannes sowie mit zwei Oscarnominierungen. Mit solch weltweiter Anerkennung für Persepolis kam wohl auch die künstlerische Freiheit für die Regisseurin und Zeichnerin, die in ihrem zweiten Langfilm Huhn mit Pflaumen (2011) vom Biografischen abrückt und sich ins Fabelhafte wagt. Ihr neuster Kinofilm schlägt wiederum etwas andere Töne an als zuvor, das gewohnt poetische Terrain ein stückweit verlassend.
The Voices: Was die Stimmen erzählen
The Voices erzählt die Geschichte des sympathisch verschrobenen Fabrikarbeiters Jerry (Ryan Reynolds), der sich in seine heiße Arbeitskollegin verliebt, sich jedoch leider durch den Mord an dieser selbst die Chance auf eine glückliche Zukunft in Zweisamkeit mit ihr verbaut. Um diesen Moment der geistigen Abwesenheit, diesen Fauxpas, zu verarbeiten und weiteres Vorgehen zu planen, berät sich Jerry mit seinen beiden Haustieren Mr. Whiskers und Bosco, als Externalisierungen der sozial nicht ganz so kompetenten Stimmen in seinem Kopf.
Genrekonventionen als Experimentierfeld
Satrapi erkundet mit ihrem aktuellen Kinofilm The Voices vermeintlich diametral entgegengesetzte Gefilde. Während Persepolis als coming-of-age Biopic noch eindeutigere Identifikationsangebote lieferte, grenzt sich die absurd anmutende Handlung des Realfilms The Voices vermutlich deutlich vom Alltag der Zuschauerschaft ab. Verstand sich Persepolis als politisch engagiertes Arthouse Kino, zielt The Voices zunächst einmal auf (mainstream) Entertainment. Beide Filme mögen eine andere Filmsprache sprechen, den Zuschauer auf andere Weise tangieren, sich als verschiedene Genre präsentieren und ihre Schwerpunkte dementsprechend anders setzen, sie teilen dennoch eine Grundstimmung, einen gewissen Akzent. So lassen sich durchaus Parallelen erkennen, die Satrapis Handschrift führen und ihr neustes Werk in die Tradition seiner Vorgänger einreiht.
Ebenso wie sich der fast infantil inszenierte und dennoch tiefsinnige Persepolis klassischer Genreeinteilungen entzieht, entpuppt sich auch The Voices als wahrer Genrehybrid zwischen selbstironischer Komödie und makabrem Thriller. Satrapi führt uns ein in den Mikrokosmos einer Badewannenfabrik mitten im Nichts der US-Amerikanischen Provinz. Das überzogene Setting, angefangen bei den knallpinken Arbeiteroveralls, deutet eine gewisse Verschobenheit zur Realität der tristen, ordinären Kleinstadt bereits voraus: normal ist hier wenig. Spätestens bei der skurrilen Firmenfeier, und allerspätestens mit Einsatz einer Polonäse durch das labyrinthische Filmengebäude, begleitet von Solotanzeinlagen unter Glitterregen in Slomotion, wird klar, Satrapi serviert uns eine ordentliche Portion Ironie. Welchen dramat(urg)ischen Plan die iranisch stämmige Filmemacherin hier verfolgt, verdeutlicht uns der radikale Bruch im Szenario: ein kaltblütiger Mord. Unvorbereitet kippt die Stimmung von harmonischem Klamauk zu dissonanter Ambivalenz, reißt uns mit und lässt uns irgendwo dazwischen stehen. Unsere Hauptidentifikationsfigur, der sympathische Trottel, wird zum wahnsinnigen Serienkiller. Bilder von oberflächlichen, wenn auch glücklichen Fabrikarbeitern weichen dem Porträt eines kranken Mannes, dessen Schicksal wir nun in aller Tragik verfolgen.
Trotz dieser generischen 180° Wendung hält Satrapi an den zuvor etablierten Elementen überzogener Komik fest. Sicherlich eine Notwendigkeit, will man die Zuschauerschaft bei (guter) Laune halten. Dennoch: der Spagat zwischen diesen zwei Polen ist ein spürbar kniffliger und erfordert durchaus die wohlwollende Offenheit der KinobesucherInnen (den Film weiterhin ernst zu nehmen). Möglicherweise intendiert Satrapi mit ebendiesen Kontrasten die Intensität des Filmerlebnisses zu steigern und somit die Handlung des Films selbst belangreicher, bedeutungsschwangerer erscheinen zu lassen? Immerhin sorgt diese Strategie für manch gelungene Überraschung — eine „Grundsicherung“ an Spannung und Entertainment ist somit garantiert. Zwischenfazit: ein gründlich durchkomponierter Film, die Zuschauerreaktionen und –antizipationen mitdenkend. Doch während Satrapi genrekategorisch so aus dem Vollen schöpft und selbstbewusst den Killer im Pharmazeutika-Delirium bollywoodsche Musicaleinlagen mit Jesus tanzen lässt, scheint für das Grundgerüst des Films jeglicher kombinatorische Mut bereits verschossen. Die Basis allen Geschehens schimmert als tragische Backstory Wound des Helden, dessen Schandtaten auf traumatische Kindheitserlebnisse zurück zu führen sind, durch alle noch so innovatorischen Schichten des Films, welche dieses standardisierte Klischee des Drehbuchschreibens, diesen (etwas zu) einfachen Kniff, trotz ihrer gewagten Wendungen nicht zu kaschieren vermögen.
Spaß über Tiefgang
The Voices fordert das Einlassen auf Absurdität, auf Dissonanzen. Der Perspektive der Hauptfigur folgend, stürzt sich die Stimmung des Films von Euphorie zu Trübsal und zurück, konfrontiert uns bald mit der bitteren Realität eines einsamen Geisteskranken, bald mit seinen illusorischen Vorstellungen einer überspitzt harmonischen Welt. Satrapi spielt diese Gegensätze selbstironisch gegeneinander aus; eine durchaus spritzige, unterhaltsame Filmerfahrung, die, man sei gewarnt, dennoch einen Hang zum Charme des Verschrobenen (um nicht zu sagen schlicht und einfach zu Quatsch) voraussetzt.
Was die Leute sagenMelanie-Rating (zählt natürlich doppelt) IMDB.com Rotten Tomatoes Metacritic |
Gesamtnote
7,14 |
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