Filmvorstellung: Von jetzt an kein Zurück
Martin… Martin… für Ruby gibt es nur noch Martin, für Martin gibt es nur noch Ruby. Eine vielleicht schicksalhafte Begegnung in einer Zeit, in der man glaubte, mit Liebe Geschichte schreiben zu können. Christian Froschs neuster Kinofilm nimmt uns mit zurück nach 1968, in die Hochphase der Friedensbewegung, mitten hinein in die Köpfe seiner Protagonisten, den Aktivisten des Films. Dabei eröffnet sich uns eine ungewohnte Perspektive: anders als so oft spielt sich die Geschichte um das junge Liebespaar, dass nach Berlin durchbrennen will, eben genau nicht dort ab. Ganz im Gegenteil. Im Kleinstadtmief der deutschen Provinz bringt uns Frosch einen Alltag abseits der 68er-Epizentren nahe, dessen beklemmende Enge umso dringender nach Ausbruch und Flucht verlangt.
Ruby und Martin strotzen vor Glück und Energie. Frosch bettet sie nicht nur ein in diese stürmische Zeit des Aufbegehrens, er macht sie zum Motor des Aufbruchs selbst. Mit Handkamera folgt er ihrem mitreißenden Taumel — und zeigt uns aus unmittelbarer Nähe, wie dieser zum freien Fall wird. Denn die „unzüchtigen“ Pläne des Paares werden vereitelt, noch bevor sie fruchten können. Martin wird zur Zwangsarbeit geschickt, Ruby hinter die Mauern einer katholischen Erziehungsanstalt. Es scheint, als gäbe es wahrhaftig „kein zurück“…
Da tut sich was im deutschen Kino
Der Filmtitel ist nicht nur inhaltlich gesehen programmatisch. Die schwarz-weiß Ästhetik, die bewegte, fast dokumentarisch anmutende Kameraführung, die spürbare Freiheit im Schauspiel erinnern selbst an das avantgardistische Kino der damaligen Zeit. Dem Vorbild der französischen Nouvelle Vague oder dem (früheren) italienischen Neorealismus folgend, ging es im Jungen Deutschen Film der 60er Jahre um eine radikale Erneuerung der Filmsprache. Raus aus dem Biedermeier von „Papas Kino“, lautete das Motto; Platz schaffen für innovative Inszenierungen und, allem voran, für politisch relevante
(Gegenwarts-) Themen. Mit Von jetzt an kein Zurück geht Frosch den Weg dieser freigeistigen Cineasten ein Stückchen weiter.
Der Vergleich zu den europäischen Vätern der cineastischen Avantgarde ist durchaus nicht zu optimistisch gezogen. Was tut sich da im deutschen Kino? Vor einem knappen Jahr schillerte Jakob Lass Lovesteaks über die Leinwände wie ein funkelnder Edelstein inmitten der totgeglaubten Brachlandschaft des deutschen Films, als internationale Erfolge wie Gegen die Wand (2004), Der Untergang (2004) oder Das Leben der anderen (2006) schon fast wieder vergessen waren, und der Ruhm wieder ans (u. A.) französische Kino abgetreten war. Als erster Langfilm der sogenannten FOGMA-Bewegung repräsentierte Lass Kinodebüt den Ideenreichtum der jungen deutschen Filmemachergeneration, die mit reduzierten Mitteln (keine künstliche Beleuchtung, kein Make-up, keine Dialogvorgaben) eine ungeheure Ausdrucksstärke erzeugen. Auch Frosch, der nicht direkt mit der Bewegung affiliiert ist, scheint nach dem Motto „weniger ist mehr“ zu agieren – ein Weniger, das sich ironischerweise aus finanziellen Engpässen aufdrängt – und gewinnt dadurch eine Spontanität, die sich in der Realitätsnähe des Filmes wieder spiegelt. Ohne fixe Regeln umgeht Frosch geschickt die Gefahr, prätentiös zu wirken, wie es seiner Meinung nach die DOGMA-Bewegung der 80er war. Froschs Ansatz manifestiert sich besonders in ausgedehnten Schauspielimprovisationen, welche Hauptdarstellerin Victoria Schulz auf dem Filmfest Oldenburg den Seymour Cassel Award als Beste Schauspielerin einbrachte.
Am Ende des Films sind zehn Jahre vergangen. Für Ruby und Martin kommt es erneut zur Begegnung – miteinander, natürlich, aber auch mit all den schmerzlichen Erinnerungen. Dem Unausgesprochenen, damals, dem Unsagbaren, heute. Froschs Film macht nun den Anfang, zumindest die gegenwärtige Sprachlosigkeit angesichts dieses Kapitels deutscher Geschichte zu überbrücken.
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